„Krieg ohne Front“ – Eine Ausstellung gegen das Vergessen

Hochsauerlandkreis. Meschede.
Vor 100 Jahren überzog ein sinnloser, verlustreicher Krieg Europa. Der I. Weltkrieg war eine Tragödie. Er brachte endlos viel Leid und Tod mit sich, auch weit entfernt von der Front. Wie viele Mütter warteten Tag für Tag voller Angst und Hoffnung auf einen Feldpost-Brief ihres Sohnes? Wie viele Frauen erhielten stattdessen die erschütternde Nachricht vom „Heldentod“ ihres Sohnes oder Ehemannes?

Auch im Sauerland gehörten Todesnachrichten bald zum Alltag. Ein eindringliches Zeitdokument sind die „Heimatgrüße – Nachrichten aus der Heimat für unsere ….. Soldaten“, verfasst von den Geistlichen der Dekanate. Zu diesen schreiberprobten Priestern gehörte auch Pastor College aus Assinghausen. Er bemühte sich in allen seinen Briefen an die an der Front, in Gefangenschaft oder im Lazarett befindlichen „lieben Pfarrkinder“ um einen heiteren Unterton. Doch zwischen seinen Zeilen lässt sich leicht lesen, dass ihm Fröhlichkeit und Zuversicht sehr schwer gefallen sind. Das ist ihm nicht zu verdenken, angesichts der vielen traurigen Ereignisse, über die er in fast jedem seiner Briefe berichten musste. Hier ein paar Zeilen aus den Pfingstgrüßen 1915 von Pfarrer College:
„Von unseren Assinghäusern sind bis heute 60 Mann eingezogen, darunter beide Lehrer; aus Wulmeringhausen sind 66 Krieger fort. …. Daß auch aus unseren beiden Gemeinden einige brave Kameraden im Heldenkampf fürs Vaterland gefallen sind, habt Ihr alle gewiß schon vernommen; aus Assinghausen: Anton Knoche, Josef Niggemann und Lehrer Josef Schütte; aus Wulmeringhausen: Heinrich Kleff, Heinrich Jungmann, Heinrich Vorderwülbecke und Fritz Schütte. Ehre ihrem Andenken! Vermisst werden Josef Hanfland und Heinrich Leonhardt. In französischer Gefangenschaft (Montloucon) ist seit Anfang des Krieges Josef Birkhölzer. Das Eiserne Kreuz hat sich Emil Silva, das Badische Verdienstkreuz August Weiken erworben.“
Aus Pfarrer Colleges Briefen lässt sich ebenso ablesen, wie sich auch für die Zivilisten Zuhause die Lebensbedingungen von Kriegsjahr zu Kriegsjahr verschlechterten. Die Männer fehlten an allen Ecken und Kanten, zum Beispiel bei der Arbeit auf dem Feld; die Versorgungslage wurde immer schlechter.

Hundert Jahre sind seitdem vergangen, viel Zeit zu vergessen. Fast vergessen sind die unzähligen Gefallenen und Vermissten. Eine Ausnahme ist da vielleicht der Maler August Macke aus Meschede? Ihm, dem 1914 als 27-jähriger Gefallenen, gedachten viele Menschen in seinem Todesjahr. Fast vergessen war auch, dass die Lagerstraße in Meschede ihren Namen von dem großen, von 1914 bis 1918 bestehenden Kriegsgefangenenlager „geerbt“ hat. Fast vergessen … wenn nicht im Jahr 2014 zwei Klassen des Städtischen Gymnasiums Meschede das Thema „Meschede und der I. Weltkrieg“ mit viel Einsatz und Mühe aufgearbeitet hätten.

Das in der Sparkasse in Meschede ausgestellte Ergebnis dieser aufwändigen Recherche durften sich die „Freunde der Völkerbegegnung“ (FdV) und etliche weitere Interessierte am 21. Januar 2015 von einigen Schülern und Lehrern vorstellen und erläutern lassen.
Die „Geschichtsforscher“ des städtischen Gymnasiums hatten zunächst alle Hände voll zu tun, um das umfangreiche Material zu sichten. Denn zu ihrem Erstaunen wurden ihnen viele alte Utensilien und Familiendokumente, wie Soldaten-Fotos und Feldpostbriefe von Mescheder Bürgern zur Verfügung gestellt. Dann musste ein Konzept her. Die Devise hieß: „Nicht verzetteln“. So konzentrierten sich die Schülerinnen und Schüler der Stufen Q2 und Q1 zum einen auf Soldatenschicksale und zum anderen auf das Kriegsgefangenenlager im Galiläa Feld, einem großen Stück Land, das bis dato dem Graf von Westphalen gehörte. Handwerkliche Fähigkeiten waren bei den Schülern auch sehr gefragt, vor allem für den Plan und den Bau des beeindruckenden Lager-Modells. Sogar die Topografie stimmt! Die Baracken gehörten mit rund 10.000 männlichen Insassen, vorwiegend Franzosen, Italiener und Russen, zu einem der größten Lager in Deutschland, berichteten Lehrer und Schüler/innen. Vor allem im Jahr 1914 waren Verhältnisse für die Gefangenen sehr schlecht. Sie hätten beispielsweise so wenig Wasser bekommen, dass die Ration nicht einmal zum trinken ausreichte, geschweige, für die Körperpflege. 1915 hätten dann neutrale Staaten wie der Schweiz gegen diese Zustände erfolgreich interveniert. Die Verhältnisse besserten sich. Trotzdem wären dort ca. 2.000 Gefangene gestorben. Ein Kriegsgefangenenlager sei nicht zu verwechseln mit einem Konzentrationslager, erklärte einer der Lehrer. Die Gefangenen seien hier wohl in erster Linie festgehalten worden, um nicht mehr als gegnerische Soldaten ins Kriegsgeschehen eingreifen zu können.
Noch ein paar Sätze zum Größenvergleich Meschede / Lager. Die Stadt Meschede war in den Kriegsjahren ein beschauliches Städtchen mit nur ca. 4.500 Einwohner. Die Versorgung der Gefangenen sei daher ein großes logistisches Problem gewesen. So hätte z.B. eigens für das Lager ein Wasserturm gebaut werden müssen. Warum bekam ausgerechnet Meschede das Lager? Das sei damals wohl der guten Verkehrsanbindung (Bahnhof), dem Ruhrwasser und der freien Flächen zu „verdanken“.

Die FdV-Gruppe hätte gerne noch lange den Schülern und Lehrern zugehört, so spannend war was sie berichteten. Die Zeit verging im Fluge. Und dann wartete da noch eine Redakteurin von Radio Sauerland. Sie hatte die Einladung der FdV zum Anlass genommen, sich a) die Ausstellung anzusehen und b) die Schüler/innen für einen Radio-Beitrag zu interviewen. So haben die Gymnasiasten wahrscheinlich gleich 2 mal Geschichte geschrieben!?

Maria Hüser bedankte sich in ihrer Funktion als FdV-Vereinsvorsitzende mit ein paar kleinen Aufmerksamkeiten bei dem auskunftsfreudigen Team vom Städtischen Gymnasium.

Eine persönliche Anmerkung der Verfasserin:
In Gedanken reiste ich während meines Besuchs der Ausstellung „Krieg ohne Front – der 1. Weltkrieg im Kreis Meschede“ weit in den Osten. Warum? August 1914 – da rückte die russische Armee nach Ostpreußen ein. Im September 1914 zog sich das Heer vorrübergehend über die Grenze zurück. Doch die russischen Befehlshaber wollten damals offenbar Vorsorge treffen. Vorsorge insofern, die Zahl der potentiellen gegnerischen Soldaten ganz einfach und ohne großen Aufwand zu verringern. Sie nahmen, neben vielen anderen Männern jeden Alters und Standes, auch meinen Urgroßvater Gustav Breitmoser aus Stallupönen als Gefangenen mit auf ihren langen Marsch Richtung Osten. Gustav Breitmoser starb im Februar 1918 als Zivilinternierter in einem Gefangenenlager in Sibirien. Das wurde seiner Familie, ich weiß nicht wann und von wem, mitgeteilt. Gustav wurde 52 Jahr alt und hinterließ Frau und 4 Kinder. Leider haben wir kein Foto, keinen Brief, gar nichts von ihm … bis auf einen Verwaltungsbericht des Kreises Stallupönen aus dem Jahr 1916. In diesem amtlichen Dokument berichtet der Zeitzeuge Albert Eder, über das Geschehen in den Kriegswirren im Sommer 1914. Albert Eder hatte Glück. Es gelang ihm aus dem Gefangenenzug, in dem auch mein Urgroßvater ohne jegliche Habseligkeiten zu Fuß nach Russland marschieren musste, zurück nach Westen zu fliehen. Gut, dass Albert Eder diese traurige Geschichte so akribisch aufgeschrieben hat.

Gut, dass sich auch heute junge Menschen für Geschichte interessieren, recherchieren, und dokumentieren, auch, wenn die Ereignisse schon 100 Jahre zurück liegen. Hoffentlich lernen wir, aus der Geschichte zu lernen!

PM der FdV