In einer kleinen Konditorei…

Februar 2014. Vom Wind zerzaust kehren wir ein in eine kleine Konditorei in Arnsberg. Nach unserem Spaziergang möchten wir genüsslich einen Kaffee trinken und dazu einen leckeren Kuchen verputzen. Ich gehe zur Kuchentheke und entdecke ein pinkfarbenes, zuckersüßes Marzipan-Schwein. Es grinst mich an. Daneben sitzt, wie auf dem Präsentierteller, ein Herr mit kugelrunden Mondgesicht, Schmollmund und einer grünen Knollennase. Zwei zuckersüße, kleine Kunstwerke des Konditormeisters. Zum Reinbeißen viel zu schade, diese zwei kleinen Kerle.

Meine Phantasie bekommt Flügel…

Ich stelle mir vor, der kugelrunde „Herr auf dem Tablett“ singt vor sich hin: „Kein Schwein ruft mich an. Keine Sau interessiert sich für mich. Solange ich hier wohn‘, ist es fast wie Hohn, schweigt das Telefon. Kein Schwein ruft mich an. Keine Sau interessiert sich für mich. Und ich frage mich, denkt gelegentlich jemand mal an mich….“ Dieser weltbekannte Song von Max Raabe kommt mir in den Sinn, als diese zwei zuckersüßen „Teilchen“ vor mir stehen. Froh gelaunt summe ich diese Melodie vor mich hin. So vertreibe ich mir die Zeit, denn ich bin noch nicht an der Reihe.

Neben mir an der Kuchentheke steht etwas orientierungslos dreinblickend eine nette alte Dame mit einem kecken Hütchen auf dem Kopf. Sie trippelt ungeduldig auf der Stelle hin und her. Arm in Arm steht sie dort mit ihrer sicherlich 20 Jahre jüngeren Begleiterin, die sich rührend um die hochbetagte Frau kümmert. Sie redet beruhigend auf sie ein. Zu mir gewandt sagt sie: „Das ist Thea, meine Nachbarin. 87 Jahre ist Thea nun schon. Ihr Mann ist verstorben und die Kinder leben weit weg. Sie ist demenzkrank und lebt in einer Pflege-Wohn-Gemeinschaft mit sieben anderen Menschen zusammen. Allein schaffte sie das alles nicht mehr. Aber ich besuche sie so oft ich kann. Und nehme sie einfach mit, wenn es ihre Tagesform erlaubt. So ist und bleibt sie mittendrin und steht nicht außen vor, nur weil sie an Demenz erkrankt ist.“ Ich bin gerührt und fasziniert zugleich. Es klingt so selbstverständlich. Ist es aber nicht!

Zusammen überlegen die beiden Freundinnen gerade, welchen Kuchen sie für ihren „Kaffeeklatsch Zuhause“ auswählen möchten. „Sollen wir die Sahneschnittchen oder die leckeren Berliner nehmen?“, fragt die Nachbarin. „Was der Sonnenschein für die Blume ist, ist das lachende Gesicht für den Menschen“, rezitiert sie einen Spruch, der ihr gerade in den Sinn kommt. Woher auch immer. Vielleicht war ihr gerade danach.

Die Nachbarin lächelt sie verständnisvoll an und trifft kurzerhand allein die Entscheidung „Wir nehmen die Sahneschnittchen und gut ist „Ja, gut ist es“, antwortet Ihre Freundin zufrieden. Dann wendet sich die alte Dame mir zu. Ich summe gerade leise meine Melodie vor mich hin „Kein Schwein ruft mich an…“ Ein wenig skeptisch schaut sie mich von der Seite aus an. „Kennen wir uns? Hab ich sie schon mal gesehen?, fragt sie mich, ohne auf meine Antwort zu warten. Dabei rückt sie näher zu mir heran. „Was summen sie da? Das Lied kenn ich doch…“. Plötzlich lächelt sie mich an und singt völlig ungeniert mit glockenklarer Stimme: „In einer kleinen Konditorei, da saßen wir zwei bei Kuchen und Tee. Du sprachst kein Wort, kein einziges Wort und wusstest sofort, dass ich dich versteh. Und das elektrische Klavier, das klimpert leise eine Weise von Liebesleid und Weh…“

Ich stehe an der Kuchentheke neben der fröhlichen Dame und muss unwillkürlich lachen. Und nicht nur ich. Sowohl ihre sympathische Begleiterin, als auch die Bäckerei-Verkäuferinnen und einige Gäste im Café stimmen nach und nach in den Song mit ein. „In einer kleinen Konditorei, da saßen wir zwei bei Kuchen und Tee. Und das elektrische Klavier, das klimpert leise eine Weise von Liebesleid und Weh…“

Wie ein spontaner „flashmob“. Wunderbar! Eine Bilderbuchgeschichte, wie sie berührender nicht sein kann. Eine Situationskomik, die das Leben schreibt. In einer kleinen Konditorei in Arnsberg. Nur der Regisseur fehlt. Die Dame Thea strahlt ein Glücksgefühl aus, das mich zu tiefst beeindruckt. Ihr Auftritt ist bühnenreif. Sie hat uns ein Lächeln in die Gesichter gezaubert. Einfach so! Danke für dieses wunderbare Geschenk!

Es sind manchmal die kleinen Dinge, die das Leben so lebenswert machen.