Arnsberg. Das Wirtschaftsmodel Deutschland stehe vor schweren Zeiten, prophezeite Peer Steinbrück am Montag, den 18.12.23, in Arnsberg. Der ehemalige Bundesfinanzminister und frühere NRW-Ministerpräsident äußerte bei einem Unternehmerdialog der IHK Arnsberg große Besorgnis über die Zukunft der deutschen Wirtschaft. Für die Lösung der großen Herausforderungen bedürfe es nicht weniger als eine Staatsreform.
„Internationale Krisen wirken sich stark auf deutsche Wirtschaft aus“
Steinbrück stellte heraus, dass die derzeitigen internationalen Krisen und Spannungen sich auf kein anderes Land so stark auswirkten, wie auf Deutschland. Die Gründe dafür: die große Bedeutung des verarbeitenden Gewerbes, die starke Exportorientierung und die enorme Energieabhängigkeit. Die globalen Verschiebungen seien entscheidend für die Zukunft der Bundesrepublik, ihrer Wettbewerbsfähigkeit, ihres Wohlstandes und auch ihres zukünftigen Sozialniveaus, so Steinbrück.
Steinbrück: Unternehmen sollten ihre Handelsbeziehungen überdenken
Der Kanzler-Begriff der Zeitenwende zu Beginn des Ukraine-Krieges sei richtig gewählt. Allerdings habe die Regierung versäumt, die Dimension und die Konsequenz ausreichend zu vermitteln. Die meisten Menschen glaubten, es gehe alles irgendwie weiter wie bisher, bemerkte der SPD-Politiker. Die lange Phase, in der Handels- und Sicherheitspolitik getrennt voneinander betrachtet wurden, sei jedoch vorbei. Beides seien Seiten einer Medaille. Die großen Mächte ordneten zunehmend ihre Handelsaktivitäten den nationalen Interessen unter. Gerade die deutsche Abhängigkeit von China müsse verringert werden. Steinbrücks empfahl den Unternehmern, ihre Handelsbeziehungen intensiver als bisher zu überdenken, um wirtschaftliche Schäden aufgrund außenpolitischer Spannungen und Eskalationen zu vermeiden.
Zahlreiche Versäumnisse von Politik und Wirtschaft
Die Wirkungen globaler Verschiebungen auf Deutschland werden nach Steinbrücks Ansicht verstärkt durch strukturelle Probleme, die über Jahre politisch liegengeblieben seien. So warf der frühere Spitzenpolitiker der deutschen Politik, aber auch teilweise der deutschen Wirtschaft, ein ganzes Bündel an Versäumnissen vor. Angefangen bei der unzureichenden Digitalisierung über die zu geringen Investitionen in Bildung, das Fehlen bezahlbaren Wohnraums, die Bürokratie (nicht nur in Verantwortung des Bundes), die fehlende geordnete Einwanderung in sozialversicherungspflichtige Jobs, den Niedergang des öffentlichen Kapitalstocks (Beispiel Bahn) bis hin zur fehlenden demografiefesten Altersversorgung.
Zur Lösung der drängendsten Herausforderungen brauche es in der Politik mehr Konfliktfähigkeit. Beispielsweise hätte es einen Diskurs innerhalb der Koalition geben müssen vor der Abschaltung dreier Kernkraftwerke. Deutschland gelte in vielerlei Hinsicht mittlerweile wieder als „kranker Mann“ in Zentraleuropa. Ähnlich wie Anfang der 2000-er Jahre mit der Agenda 2010 brauche es einen großen Wurf, nicht weniger als eine Staatsreform, damit Deutschland seine Stärke wiederfinde.
IHK-Präsident Andreas Knappstein betonte in seiner Begrüßung, dass Peer Steinbrück die Schuldenbremse konzipiert habe. Diese finde auch heute noch großen Zuspruch in der Bevölkerung, merkte der frühere Finanzminister an. Allerdings werde sie in der bisherigen Form den heutigen Anforderungen nicht mehr gerecht. Es sollte deshalb darüber nachgedacht werden, wie eine zeitgerechte Schuldenbremse aussehen könnte.
Podiumsdiskussion im Anschluss
Zum Thema Preisbremsen und Brückenstrompreis forderte Peer Steinbrück, dass vor dem Ruf nach Subventionen zunächst überlegt werden müsse, wie eine zukunftsfähige Industriestruktur in Deutschland aussehen soll. Er wies darauf hin, dass ein großes Cluster an Grundstoffversorgern dem Staat und seinen Steuerzahlern viel Geld koste. Geld, das womöglich in anderen zukunftsfähigeren Bereichen besser angelegt sei. Die Unternehmerin Corinna Schwittay (Siepmann-Werke) monierte in der anschließenden Diskussion mit Peer Steinbrück und den Unternehmern Dr. Arne Kohring (Infineon) und Christian Schlösser (Erzeuger regenerativer Energien), dass sich bei der Energiepreis-Subventionierung alles immer um Strom drehe, aber der Energieträger Gas vergessen werde. Arne Kohring bestätigte die Hinweise Peer Steinbrücks zu China. Man könne sich nicht gänzlich aus dem Markt zurückziehen, versuche aber die Abhängigkeiten ein Stückweit zu reduzieren. Christian Schlösser merkte an, dass frühere Regierungen zu wenig für den Ausbau der Erneuerbaren getan hätten. Er hätte es sich viel früher gewünscht, dass sich Unternehmen die Frage stellen, wie sie eigene Energie produzieren können.
(Quelle: IHK Arnsberg)